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Ansprache von Prof. Winkler anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „the moon is mine“ von Anne Rößner in der Galerie Christine Mayer am 7. September 2012

Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Ausstellungsbesucher, liebe Anne!

Ich, Prof. Winkler, freue mich, Sie alle in der Ausstellung „the moon is mine“ von Anne Rößner hier in der Galerie Christine Mayer in München zu begrüßen. Es ist mir eine außerordentliche Ehre, zu diesem feierlichen Anlass ein paar meiner bescheidenen Gedanken zur Einführung in Anne Rößners Werk hinein und wieder hinaus an Sie richten zu dürfen.
Und ich kann Ihnen versichern, dass jedes einzelne meiner Worte spirituell sauber und absolut unlimitiert ist.

Anne Rößner, deren Wandteppiche uns in der Vergangenheit mit ihrer Bewegtheit Einlass gewährt haben, sodass wir sie mit unseren Augen liebevoll durchschreiten durften, widmet sich in ihrer aktuellen Ausstellung einem scheinbar ungreifbaren Thema in zweiter, dritter und in vierter Dimension.

Der Mond. Das Möndlein. Die Mondin. Kaum etwas hat mich auf meinen endlosen Reisen im Auftrag des Weltweiten Expressionismus mehr beschäftigt als die Unerreichbarkeit dessen, was ich in der Ferne zu erblicken meinte. Sowohl im räumlichen, zeitlichen als auch im sozialen, also im übertragenen Sinne.

1.
Dawson City ist eine besondere Stadt. Sie liegt im Nordwesten von Kanada, kurz vor der Grenze zu Alaska. Dawson City ist etwa halb so groß wie das Lehel, die Straßen sind aus Leh(e)m, aber mit Gehwegen aus Holz ringsherum. Die Häuser sehen aus wie eine Kulisse. Es gibt Saloons, ein Spielcasino und viele Goldminen und inzwischen glaube ich, dass es sich bei Dawson City um eine Inszenierung im Stile der Trueman Show handelt. Es ist nämlich den ganzen Tag und die ganze Nacht hell und die Sonne (wahrscheinlich ein Scheinwerfer) scheint einem selbst um Mitternacht direkt ins Gesicht.

Es kommen viele Menschen nach Dawson City, um hier den Sommer zu verbringen. Um zu arbeiten und ordentlich abzufeiern. So kann es passieren, dass einem dieselbe Person morgens beim Bäcker ein Sandwich verkauft, mittags an der Tankstelle Benzin und abends am Würstchenstand eine Bisonwurst. Vermutlich handelt es sich dabei um Statisten, die immer genau dort auftauchen, wo man sich selbst gerade aufhält.

Um Dawson City herum sind Wälder, in denen angeblich gefährliche Bären leben. Tatsächlich habe ich bis zu meinem letzten Tag keinen einzigen gesehen. Trotzdem steht in der Broschüre „Kleines ABC im Umgang mit Bären“, die ich mir unmittelbar nach meiner Ankunft bei der Touristeninformation in mehrfacher Ausführung besorgt habe: „Kämpfen Sie um Ihr Leben!“. Wohl ein Trick der Stadtverwaltung, um mich an meiner vorzeitigen Abreise zu hindern.

2.
1992 war ein besonderes Jahr. Wahrscheinlich das wichtigste Jahr meiner Generation. Vor allem künstlerisch. 1992 sind in Stuttgart alle Bands aufgetreten, die für meine Freunde und mich bedeutsam gewesen sind. Zum Beispiel Nirvana. Trotzdem kann ich mich an das Jahr 1992 nicht mehr erinnern, weil ich jede Nacht am Fließband von UPS Pakete ausgeladen habe und in der restlichen Zeit dauerbreit gewesen bin. Hinzu kommt, dass das besondere Jahr meiner Generation auch nicht das Jahr 1992 war, sondern das Jahr 1991.

3.
Die Schwabinger 7 ist ein besonderes Wirtshaus gewesen. Für mich persönlich der schönste Schuppen in ganz München. Bei meinem letzten Besuch traf ich dort einen alten Klassenkameraden wieder, worüber ich mich sehr gefreut habe – bis er mich auf der Toilette erdrosseln wollte. Heute wissen wir, dass diese Verrohung und Brutalität einzig und allein auf eine fengshuimäßige Fahrlässigkeit zurückzuführen ist, die sich über 60 Jahre lang unter dem Lokal befand und am 28. August kontrolliert beseitigt bzw. gesprengt wurde.

Dies alles ist mir bei meinen legendären Meditationen über den Mond aufgegangen. Und ich vermute mal stark, dass ich damit dem Werk von Anne Rößner ein solides und theoretisches Fundament bereiten konnte. (Romantischer Konzeptualismus, postkapitalistische Kapitalismuskritik, neofeministische Utopie usw.)

Möge unser Nicht-Wissen den KünstlerInnen auch weiterhin erlauben, alles in Anspruch zu nehmen und nichts davon zu bekommen.

Und ich möchte enden mit einem Zitat, das ich gestern am Stammtisch von Whitehorse aufgeschnappt habe: „Verspricht die Sprache, oder versagt sie?“ Ich kann mir kaum ein schöneres Schlusswort für einen Ausstellungstext vorstellen. Außer diesem vielleicht:

Uns allen soll Vitalität und gebremster Leistungswille durchs Fenster scheinen und dabei wollen wir nicht darüber hinwegsehen, worauf es im Leben wirklich ankommen wird.

Noch ein Wort in eigener Sache: Ich darf Sie darauf hinweisen, dass ich auch hiermit meinen Professorentitel endgültig abgebe, um mich von nun an als seriöser Künstler meinen Talenten zu widmen.
Ich heiße darum ab sofort: „Der deutsche Wolfgang Tillmans.“

Vielen Dank.

Euer Thomas

Anspieltipps:
Prof. Winkler „The Dark Side Of The Museum.“