stickers
Das „Internet der Bilder“ lässt sein offenbar stets ablenkungsbereites Publikum heute vor allem auf die vertikal scrollbaren, hochauflösenden Stand- und Bewegtbilder sozialer Medien starren. Die werden von den bildgenerierenden Mobilmedien globaler User:innen überfüttert, um simultan wieder andere zu überfüttern. Wie können sich da künstlerische Bilder noch positionieren? Können sie sich einen eigenen hierarchischen Bereich konstruieren, wie das Werbebildern gelungen ist, oder siegt die jpeg-Normativität über die tradierte „Besonderheit“ künstlerischer Bilder? Wie können diese sich mit Form, Inhalt und Zeitgebrauch von den Memes und Reels in dieser Büchse der Pandora abheben, sich differenzieren?
Der Künstler Aribert von Ostrowski interessiert sich seit mindestens drei Jahrzehnten für die immer schon schwer fassbaren Bewegungen individueller Bildproduktionen, in künstlerischen wie in nichtkünstlerischen Öffentlichkeiten. In den vergangenen Jahren nahm neben seinem installativ-drucktechnisch-zeichnerischen Werk seine intensive Beschäftigung mit digitalen Mobiltelefon-Bildern eine äußerst reizvolle Form an, als er in seiner Serie der sogenannten „lationals“ die Grid-Struktur der Bilderspeicherung in mobilen Medien mit Hilfe scharfer und unscharfer Screenshots äußerst überraschend persiflierte. Er permutierte Sammelansichten in abstrakte Register, was man als gelungenen „kreativen Missbrauch“ interpretieren kann, aber auch als späte reflexive Geste, mit der künstlerische Praxis das Hochauflösungsregime der Netzbilder aushebelt.
Mit seiner in dieser Ausstellung präsentierten Serie arrangierter Bildüberlagerungen greift Ostrowski erneut das technische „Feature“ eines großen Mobiltelefon-Produzenten auf und verwandelt es sich so an, als wäre es ein „Bug“: Seit etwa einem Jahr können die Benutzer:innen dieser Handys durch anhaltenden Fingerdruck den Gegenstand eines Fotos automatisch freistellen und mit einem Handgriff wie ein selbstgeschaffenes Emoji oder gif in eigene Bildproduktionen und soziale Medien transferieren. Der Name dieses eigentlich nicht besonders revolutionär scheinenden kleinen Tricks: „Stickers“, nostalgisch aus dem hartnäckigen Medium des selbsthaftenden Aufklebers für Kinder abgeleitet, der erst nur auf Schulranzen und Jugendzimmer, dann aber immer stärker auf öffentliche Flächen traf.
Aribert von Ostrowski interessiert sich dafür, mit welchen Bildmotiven, welchen Rahmungen, welchen Überlagerungen und Durchdringungen, auf welchen Bildträgern und mit welchen Raumbezügen seine Stickers ihren vorgesehenen trivialen Bedeutungsrahmen sprengen können. Wie kann er seine eigenen Exzerpte mit ihren eigenen bewusst gewählten oder zufallsbestimmten Motiven, die funktional eng mit einem eher schlicht scheinenden Abfallprodukt neuester Künstlicher-Intelligenz-Forschung verbunden sind, in einen fruchtbaren transhistorischen Austausch mit bewährten künstlerischen Methoden der Assemblage und Montage setzen?
Für Ostrowski handelt es sich bei der mobilen Bildproduktion um ein Medium, bei dem sich die Bilder in Handtellergröße manifestieren – sie besetzen die Hand und machen temporär passiv-rezeptiv und handlungsunfähig. Ostrowski geht es bei seinen geschichteten, deckenden und durchbrechend arrangierten Stöbern im digitalen Bildbruch, bei der räumlichen Vergrößerung der ergriffenen Motive auf Ganzkörpermaß, bei ihrer subtilen, aufeinander bezogenen Platzierung nicht zuletzt auch um die versuchte Anknüpfung heutiger digitaler Massen-Bildpraktiken an die Erkenntnisse installativer künstlerischer Errungenschaften aus der prädigitalen Zeit. Die von ihm gefundenen Motive – Austern, Plastikgrazien, Badewannen mit Löwenfüßen, Marx, Girlanden – toppen sich interessanterweise gerade mit Motiven einer ästhetischen Dekadenz im Stil der 1980er Jahre, dem Jahrzehnt der materiellen Bilder kurz vor ihrem Ende. „Stickers“ faszinieren zuerst bei ihrer kinderleichten Entstehung. Dabei umfährt ein farbiger Punkt die Umrisse wie ein Porsche die Carrerabahn, und sie imitieren die medial altertümlichen Kinder-Selbstklebe-Tags auch dadurch, dass sie dem freigestellten Bildelement eine Randzone spendieren, was das jeweilige Motiv für einen Augenblick in „Anführungszeichen“ setzt, bevor sich der scharfe Rand in einer anderen App wieder einstellt.
Ostrowskis „neue“ Bilder treten in ein kriselndes Verhältnis zueinander, zur Wand und zum Raum ein, sie steigern sich bis an die Ränder ihrer gedruckten Farbintensität, sie sind nicht übermenschlich retinascharf, sondern rissig und schartig, für immer verlassen sie die Hand und konfrontieren doch wieder den Körper, sie korrigieren die geschrumpften Relationen zwischen Bild und Betrachtenden, nachdem er der Künstler sie durch unterschiedliche Kunstfilter befördert hat. Einer davon heißt „Painting“. Ausgedruckt und wie „shaped canvases“ auf Bildträger aus Pappe oder Aluminium aufgezogen, gruppieren sich die Stickers heute zu übersteigert wirkender Intensität und bilden auf der Wand ein Geflecht asymmetrischer Grotesken, als wollten sie der Kunst wie der Nichtkunst nach dem entleerten, ja vermutlich nie voll gewesenen Gemeinplatz der „Bilderflut“ der lückenhaft vernetzten Welt endlich den Ausweg in ein Zeitalter des digitalen Manierismus eröffnen.
Clemens Krümmel
stickers
Today, the “internet of images” lets its apparently at all times distractible audience stare mainly at the vertically scrollable, high-resolution still and moving images of social media. They are overfed by the image-generating mobile media of users around the world to simultaneously overfeed others. How can artistic images position themselves in the face of this? Can they construct their own hierarchical area, as advertising images have succeeded in doing, or does JPEG normativity prevail over the traditional “specialness” of artistic images? How can they set themselves apart and differentiate themselves from the memes and reels in this Pandora’s box in terms of their form, content and use of time?
For at least three decades, the artist Aribert von Ostrowski has been interested in the always elusive movements of individual image production, both in artistic and non-artistic publics. Alongside his installations, prints and drawings, his intensive dealing with digital cell phone images has taken on an extremely appealing form in recent years, when with his series of so- called “lationals” he began satirizing in a very surprising way the grid structure of image storage in mobile media with the help of sharp and blurred screenshots. He has permuted collection views into abstract registers, which can be interpreted as successful “creative misuse,” but also as a late reflective gesture with which artistic practice undermines the high-resolution regime of internet images.
With the series of arranged image superimpositions presented in this show, Ostrowski once again takes up the technical “feature” of a major cell phone manufacturer and transforms it as if it were a “bug”: Since around one year, users of these cell phones have been able to automatically cut out a subject of a photo by touching and holding it with their fingertip and then transfer it with a flick of the wrist like a self-made emoji of GIF to their own image production and social media. The name of this small trick, which does not appear particularly revolutionary, is “stickers,” nostalgically derived from the persistent medium of self-adhesive stickers for children that first appeared on school bags and in teenage bedrooms but then increasingly spread to public surfaces.
Aribert von Ostrowski is interested in how his stickers can go beyond the limits of their intended trivial meanings through their image motifs, framings, superimpositions, and interpenetrations, and with regard to image carriers and spatial relationships. How can the artist place his own excerpts—with their deliberately chosen or randomly determined motifs that are closely linked in functional terms to a seemingly simple waste product of the most recent AI research—in a productive, transhistorical exchange with the seasoned artistic methods of assemblage and montage?
For Ostrowski, mobile image production is a medium in which the images manifest themselves in the size of a palm—they occupy the hand and temporarily render it passive, receptive and incapable of action. What concerns Ostrowski in his layered, opaque and disruptively arranged rummaging in the digital image quarry, in the spatial enlargement of the seized motifs to full-body size and in their subtle, interrelated placement is not least the attempt to connect present-day digital mass image practices to the insights gained from the achievements of artistic installations in the pre-digital era. The motifs he comes upon—oysters, plastic graces, bathtubs with lion’s feet, Marx, garlands—are interestingly topped precisely with motifs of an aesthetic decadence in the style of the 1980s, the decade of material images shortly before their end. “Stickers” are fascinating first of all because of their easy creation. A colored dot drives around the outlines like a Porsche on a slot car racing track, and they also imitate the old-fashioned children’s self-adhesive tags by treating the cropped image element to a border area that momentarily places the respective motif in “quotation marks” before the sharp border is reinstated in another app.
Ostrowski’s “new” pictures enter into a crisis-ridden relationship with each other, with the wall and with the space; they intensify to the edges of their printed color intensity; they are not retina-sharp in a superhuman way, but cracked and jagged; they leave the human hand for good and yet confront the body again; they correct the shrunken relations between image and viewer after he puts them through various art filters. One of these filters is called “Painting.” Printed out and mounted like shaped canvases on cardboard or aluminum image carriers, the stickers are now grouped together with exaggerated intensity and form a web of asymmetrical grotesques on the wall, as if they wanted to finally offer both art and non-art—after the emptied truism of the “flood of images” of the patchily networked world, which was probably never full in the first place— an avenue of escape into an age of digital mannerism.
Clemens Krümmel
Translated by Karl Hoffmann